Audive Wahrnehmung

Liebe Mitkämpfer und Mitkämpferinnen,

Störungen der Informationsverarbeitung führen zu Entwicklungsauffälligkeiten und zu Lernstörungen. In der Literatur werden diese cerebral bedingten Verarbeitungsstörungen als “Teilleistungsstörungen”, “sensorische Integrationsstörungen” oder “Wahrnehmungsstörungen” bezeichnet.

Funktionsstörungen
der auditiven Wahrnehmung
nach Breitenbach

Gestörte Schall-Lokalisation

Den Kindern gelingt es nicht, eine Schallquelle im Raum zu lokalisieren oder einer sich bewegenden Schallquelle zu folgen (z.B. beim Spiel “Töpfe schlagen”, einen versteckten Wecker finden). Deshalb fällt es den Kindern schwer, sich in Gruppengesprächen dem jeweiligen Sprecher zuzuwenden. Oft wissen sie nicht, wohin sie sich wenden sollen, wenn sie gerufen werden.

Nicht altersgemäße Lautdiskriminationsfähigkeit

Die Kinder haben Schwierigkeiten im Erkennen und Unterscheiden von Sprachlauten.
Beieinträchtigungen der Lautdiskriminationsfähigkeit führen zu Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten und Schwierigkeiten in der Inhaltserfassung von Sätzen oder Texten. Die Schwierigkeiten zeigen sich dadurch, dass:

  • ähnlich klingende Wörter wie Nadel-Nagel, Glas-Gras, Bären-Beeren lautlich nicht hinreichend genau unterschieden werden können
  • die Kinder ähnlich klingende Wörter beim Diktat schreiben verwechseln
  • bei Reimwörtern die beiden klangähnlichen Wörter nicht bzw. schlecht erkannt werden können (z.B. Haus-Maus-Tisch, Nase-Hase-Hut)
  • die Kinder oft verwaschen sprechen oder nuscheln. Die Sprachproduktion wird sowohl über die kinästhetische Wahrnehmung der Mundmotorik als auch über das Mithören der eigenen Sprache kontrolliert
  • die Kinder auch in Einzelsituationen oft nachfragen

Beeinträchtigungen der Figur-Grundwahrnehmung

Störung der Sprachdiskrimination in geräuscherfüllter Umgebung, z.B. bei Nebengeräuschen, wenn durcheinander gesprochen wird. Die Kinder können Sprache nicht ausreichend von Störgeräuschen unterscheiden. Sie hören die Nebengeräusche genauso laut wie die Sprache. Den Kindern gelingt es somit kaum, wichtige akustische Informationen von Neben- oder Hintergrundgeräuschen zu trennen und aus komplexen Schallereignissen sprachliche Informationen herauszuhören.
Bei einem oft hohen Lärmpegel in Kindergartengruppen oder im Klassenraum wirkt sich diese Beeinträchtigung besonders gravierend aus. Bei geringen Geräuschunterschieden muss vor allem das Richtungshören, die Lautdiskriminationsfähigkeit und die Figur-Grundunterscheidung völlig in Ordnung sein. Beeinträchtigungen dieser Wahrnehmungsstörung wirken sich gravierend aus:

  • bei einer lauten Geräuschkulisse verstehen die Kinder oft die Anweisung der Erzieherin/Lehrerin nicht
  • Informationen in komplexen Gruppensituationen werden häufig nicht oder falsch verstanden
  • die Kinder beschweren sich, wenn durcheinander gesprochen wird, weil sie die Stimme der Lehrerin/Erzieherin nicht richtig hören
  • in einer großen Gruppe wirken die Kinder gereizt, ziehen sich zurück oder halten sich die Ohren zu
  • sie fragen öfter nach
  • sie orientieren sich bei Aufträgen oft an anderen Kindern/Mitschülern
  • in Einzelsituationen oder Kleingruppen zeigen sie ein deutlich besseres Sprachverständnis
  • sie geben Antworten, die sich nicht direkt auf die gestellten Fragen beziehen
  • die Kinder haben eine erhöhte Sprechlautstärke, wenn sie mit anderen reden.

Da die Kinder mehr Energie aufbringen müssen, um die Stimme der Erzieherin/Lehrerin aus anderen Nebengeräuschen herauszuhören, ermüden sie schneller, wirken unaufmerksam und unkonzentriert oder stören den Unterricht. Akustische Signale mit Geräuschcharakter werden lauter gehört als von Normalhörenden. Das Kind wirkt geräuschempfindlich. Diese auditive Wahrnehmungsstörung wird auch als zentrale Fehlhörigkeit beschrieben.

Verkürzte Hör-Gedächtnis-Spanne

Eine Beeinträchtigung des auditiven Gedächtnisses führt dazu, dass die Kinder nur begrenzt fähig sind, nacheinander eintreffende akustische Informationen wie zum Beispiel Wörter, Zahlenreihen, mehrsilbige Sätze, eines Klatschrhythmus im auditiven Kurzzeitgedächtnis (Arbeitsgedächtnis) zu speichern und wieder abzurufen. Die seriale Verarbeitung akustischer Reize und Informationen gelingt nicht altersentsprechend. Das Vorhandensein einer solchen Störung führt oft zu schulischen Lernstörungen, da vor allem auditive Gedächtnisleistungen sowohl für die Lese-/Rechtschreibentwicklung als auch für die Durchführung von Rechenoperationen (insbesondere Kopfrechnen) von fundamentaler Wichtigkeit sind. Bei Kindern mit einer eingeschränkten Hör-Gedächtnis-Spanne findet man oft auch Störungen der vestibulären Wahrnehmung. Eine verkürzte Hör-Gedächtnis-Spanne äußert sich insbesondere in folgenden Schwierigkeiten:

  • die Kinder können Reime, kleine Geschichten, Lieder, Verse und Farben oder das kleine Einmaleins nur schlecht behalten oder nacherzählen
  • sie können Sätze, bestehend aus sechs bis sieben Worten, nicht nachsprechen
  • sie können sich Zahlenreihen schlecht merken
  • sie sind im Kopfrechnen oft deutlich schlechter als im schriftlichen Rechnen, vor allem bei Aufgaben, wo mehrere Zwischenergebnisse behalten werden müssen
  • bei Diktaten kommt es oft zu wiederholtem Nachfragen oder Auslassen von Wörtern
  • sie verlieren oft auffallend rasch das Interesse, wenn Geschichten vorgelesen werden
  • sie können mehrere miteinander verbundene Handlungsaufträge nicht oder nur unvollständig ausführen
  • sie vergessen oft die Hausaufgaben
  • bei Spielen wie z.B. “Kofferpacken” können sie sich schlecht die Reihenfolge der eingepackten Gegenstände merken.

Störungen der auditiv-visuellen Integration

Die Kinder haben Schwierigkeiten, visuelle Reize in bedeutsame akustische Information umzusetzen und umgekehrt. Dies zeigt sich vor allem darin, dass:

  • die Kinder im Kindergarten schnell die einmal gelernten Farben vergessen. Sie brauchen länger als andere Kinder, um sich die Namen der verschiedenen Farben zu merken und diese zuzuordnen
  • die Kinder in der Grundschule Schwierigkeiten haben im Behalten der Phonem-Graphem(Buchstabe-Laut)-Zuordnung. Sie haben Schwierigkeiten, aus dem Gedächtnis einem gehörten Laut den entsprechenden Buchstaben zuzuordnen oder umgekehrt. Der schnelle Zugriff auf sprachliche Gedächtnisinhalte ist beeinträchtigt.

Schwierigkeiten in diesem Bereich führen oft zu Lese-/Rechtschreibstörungen.

Gestörte Lautanalyse und Lautsynthese

Es gelingt den Kindern nur schwer oder gar nicht, Laute aus einem Wort zu analysieren (z.B. “was hört man am Anfang von Igel”) oder Silben zu einem Wort zusammenzuziehen. Schwierigkeiten in diesem Bereich führen zu Lese-/Rechtschreibproblemen. Damit Lautanalyse und Lautsynthese gelingen, ist ein intaktes auditives Kurzzeitgedächtnis eine notwendige Voraussetzung. Die Schwierigkeiten der Kinder zeigen sich insbesondere darin, dass

  • es ihnen nicht gelingt, An-, End- oder Mittellaute aus einem Gesamtklangbild lautlich zu analysieren bzw. herauszuhören (z.B. Bildkärtchen mit gleichen Anfangslauten aus mehreren Bildkärtchen herauszusuchen
  • die komplexe Lautdurchgliederung von Wörtern nicht oder nur unzureichend gelingt
  • das Zusammenziehen von Buchstaben/Silben zu einem Wort nicht gelingt, wie z.B. Fuß-ball-feld, a-l-t- (Lautsythese)
  • das Kind nicht altersentsprechend liest.

Schwierigkeiten in der Lautanalyse sind oft verbunden mit einer erhöhten Ordnungsschwelle und einer unzureichenden Wahrnehmungstrennschärfe

Nicht altersgemäße rhythmisch-melodische Differenzierung

Gehörtes kann aufgrund seiner melodischen oder rhythmischen Struktur nicht voreinander unterschieden werden:

  • den Kindern gelingt das Mitklatschen eins Liedes nicht
  • die Silbensegmentierung gelingt nicht, das Klatschen oder Klopfen eines Wortes in Silben (z.B. Vo-gel-nest) gelingt nicht
  • das rhythmische Sprechen von Versen und Reimen gelingt nicht (z.B. Sprechverse wie “Enemeine-miste, es rappelt in der Kiste…”)
  • einfache Klatschrhythmen können nicht nachgeklatscht werden.

Störung der Wahrnehmungskonstanz

Ein bestimmtes Geräusch, ein Ton oder eine bestimmte Lautfolge kann nicht wiedererkannt werden, wenn es in veränderter Lautstärke, Klangfarbe, Tonhöhe oder gemeinsam mit anderen Tönen, Lauten oder Geräuschen angeboten wird:

  • die Kinder erkennen ein vorgegebenes Stichwort (z.B. Hund) aus einem vorgelesenen Text nicht heraus (z.B. sollen die Kinder klatschen, wenn sie ein vorgegebenes Wort in einem Text hören)
  • die Kinder können einfache Reime nicht fortsetzen, wie z.B. Haus-Maus….

Störungen der auditiven Aufmerksamkeit

Dies zeigt sich in Schwierigkeiten des Kindes, sich auf wechselnde akustische Signale (z.B. Sprachangebote des Lehrers/Erziehers) dauerhaft einzustellen. Hinweise dafür sind:

  • fehlende Ausdauer bei verbalen Aufgaben
  • geringe Mitarbeit im mündlichen Unterricht/Stuhlkreis
  • erhöhte Ablenkbarkeit durch Geräusche
  • zunehmende Ermüdung und Unruhe im Laufe des Unterrichts/Gruppenalltags

Störungen des Lautheitsempfindens

Bei gestörtem Lautheitsempfinden werden Schallereignisse als zu laut bzw. schmerzhaft und/oder normale Umgangssprache als zu leise empfunden. Hinweise darauf sind:

  • dass sich die Kinder bei einem normalen Lärmpegel beschweren, es sei zu laut, sich die Ohren zuhalten
  • die Kinder beklagen sich darüber, dass zu leise gesprochen wird.

Zusammenhänge zwischen Lese-/Rechtschreibstörungen und anderen Entwicklungsauffälligkeiten Untersuchung Schydlo (1993):

  • bei 54 % der LRS-Kinder bestand eine zentrale Fehlhörigkeit (auditive Figur-Grund-Störung
  • 13 % der Kinder wiesen andere Wahrnehmungsstörungen auf
  • 14 % hatten auch visuelle Wahrnehmungsstörungen
  • bei 47 % der LRS-Kinder fanden sich zusätzliche grobmotorische Störungen
  • bei 16 % waren feinmotorische Störungen feststellbar (Beeinträchtigungen der Grob- und Feinmotorik sind eine häufig anzutreffende Kombination mit LRS, vor allem Beeinträchtigungen in der Auge-Hand-Koordination)
  • bei 9 % bestand eine Linkshändigkeit
  • bei 20 % ein hyperkinetisches Syndrom (psychomotorische Unruhe)

Langfristige Auswirkungen von Legasthenie:

Mannheimer Längsschnitt-Studie von ESSER und SCHMIDT (1993)

  • Lediglich 12,5% der Kinder mit LRS besuchen das Gymnasium gegenüber 40,6% ohne LRS. Auch der Einstieg in das Berufsleben ist für diese Kinder erschwert.
  • Lese-rechtschreibschwache Kinder haben vermehrt Verhaltensauffälligkeiten, was sich über die gesamte Entwicklungszeit nachweisen läßt.
  • Zusätzliche psychische Auffälligkeiten auch später im Jugendlichenalter deutlich erhöht (Schuleschwänzen, Lügen, Weglaufen, Nikotin-, Alkohol-, Drogenabusus, Zerstören fremden Eigentums).
  • 25% werden im Alter von 18 Jahren strafauffällig, gegenüber 5,3% ohne Lese- und Rechtschreibprobleme.
  • Lediglich 34% der Kinder mit LRS zeigen eine geringe Besserung der Rechtschreibleistungen während der Grundschulzeit.
  • Bereits Ende der 2. Klasse kann 70% der LRS-Kinder nur noch durch spezielle außerschulische Lerntherapien geholfen werden.

Wir helfen!

Mit freundlichen Grüßen,

Eva-Maria Weiner- 0171 – 757 90 11